Winteranfang – nur wo bleibt der Winter?

Das war also heute laut Kalender der Winteranfang. Aber vom wirklichen Winter war weit und breit noch nichts zu sehen! Grau und Grün ringsumher. Vor rund 800 Jahren erschauderte der große Minnesänger Walther von der Vogelweide allein beim Gedanken an der Winter:

Könnte ich den Winter nur verschlafen!

Solange ich wach bleibe, grolle ich ihm,

dass seine Macht so groß und so weit ist.

Wahrlich, einmal muss auch er dem Maien weichen.

Dann pflücke ich dort Blumen, wo jetzt Reif liegt.

Wäre der gute Minnesänger heute mit mir auf Radtour gegangen, hätte sich sein Groll auf den Winter ganz sicher in Grenzen gehalten. Ich hätte ihn auf eine meiner Lieblingstouren entlang eines Stücks des Barnimer Dörferwegs im Raum des Naturschutzgebietes „Falkenberger Rieselfelder“ mitgenommen, und er hätte dabei ganz nebenbei miterlebt, wie ich meinen 1800sten Jahreskilometer auf dem Fahrrad absolviere. Vor allem aber hätte er eine schöne herbe märkische Landschaft im grau-grünen „Look“ des Spätherbstes erlebt und sein „Könnte ich den Winter nur verschlafen!“ höchstwahrscheinlich an diesem heutigen „Winteranfang“  n o c h  nicht ausgerufen…

Was aber hätte mein Reisebegleiter heute noch so alles erlebt? Da wären zunächst die vielen Relikte des Sommers und Herbstes, die überall noch zu sehen sind: teilweise unvollständig abgeerntete Getreidefelder mit viel verstreutem Futter für hungrige Tiere; vereinzelte Äfpel am Wegesrand, die keiner aufgelesen hat; die Pusteblume, die die Herbststürme überstanden hat; das Kleeblatt im glänzenden Schmuck der Regentropfen; die knallrot leuchtende Hagebutte, die gerade den letzten Regen abgetropft hat …

  Und dann hätte mein mittelalterlicher Reisebegleiter nicht schlecht gestaunt, was er da am „Winteranfang“ auf den Weiden des Naturschutzgebietes erblickt: sog. Heckrinder, die dem Auerochsen oder Ur ähnlich sind und die es schon zu Lebzeiten Walther von der Vogelweides (um 1170-1230) kaum noch oder nur selten gegeben hat (das letzte Exemplar soll dann 1627 in der Nähe von Warschau erlegt worden sein). Auch die kleine Herde der sog. Liebenthaler Wildlinge hätten ihn erstaunt, die den „Winteranfang“ wie einst ihre Vorgänger-Urpferde im Freien begrüßt…

Nicht weit entfernt von den weidenden Rindern und Pferden spezieller Züchtungen haben sich seit Wochen auf überschwemmten Wiesen Schwäne niedergelassen. Wie schaut es bei ihnen am heutigen kalendarischen Winteranfang aus? Zunächst das Erfreuliche: Das Dutzend Schwäne bevölkert noch immer die Wasserfläche, weit verstreut, inmitten aber weiterhin die deutlich erkennbare Großfamilie von zwei erwachsenen Tieren mit sieben Jungtieren. Dann aber das Überraschende: Etwas abseits liegt ein toter Jungschwan. Nichts deutet auf die Todesursache hin. Einmal mehr scheint die Natur ein „Opfer“ gefordert zu haben. Mein fiktiver Reisebegleiter Walther von der Vogelweide hätte sich da in seinem „Winter“-Lied bestätigt gesehen:

  Uns hat der Winter überall Schaden zugefügt …

Warten wir aber erst mal ab, wie es weiter geht und ob es ganz so schlimm wird!

Über Herbert Schwenk

Jahrgang 1937; ehemaliger Lehrer und Gesellschaftswissenschaftler der DDR; heute Rentner
Dieser Beitrag wurde unter Allgemein veröffentlicht. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

Schreibe einen Kommentar