Mein halbes Leben bestand aus Schreiben. Vieles davon ging in den Papierkorb, manches wurde irgendwo „abgelegt“, einiges auch gedruckt. Das gedruckte Wort ist immer ein Zeitzeugnis der Meinungen und Gesinnungen des Autors, ob man das später wahrhaben will oder nicht. Denn Meinungen und Gesinnungen können sich wandeln, wenn sich die Umstände wandeln, die zur Herausbildung von Meinungen und Gesinnungen führten. Ich fand kürzlich einen schönen Spruch des französischen Dichters Paul Ambroise Valéry (1871-1945), in dem er etwas zugespitzt ausdrückt, dass bei der Meinungsbildung immer zwei Dinge zusammenwirken: „Lüge und Gutgläubigkeit ergeben zusammen die Meinung.“ Auch ich gehörte zu den Gutgläubigen. Die wissentlichen Lügner sind inzwischen meist in der Versenkung verschwunden oder bereits verstorben, ohne sich zuvor für ihr Tun verantwortet zu haben.
Meinungsänderung darf ich auch für mich in Anspruch nehmen – insbesondere nach dem tiefen Umbruch seit 1989/90. Wenn schon 140 Jahre zuvor (1851) ein damals erst 36-jähriger Otto von Bismarck (1815-1898), auf seine Jugend zurückschauend, in einem Brief an seine Frau Johanna schrieb: „… wie hat meine Weltanschauung doch in den 14 Jahren seitdem so viel Verwandlungen durchgemacht …“, dann darf das doch auch für jemand gelten, der mehr als doppelt so alt ist und dabei mehr in seinen drei politischen Systemen erlebt hat als Bismarck nur in seiner Monarchie!
Vom Inhalt meiner meisten Schriften aus DDR-Zeiten hat nicht viel die Zeit überstanden, aber einiges Wesentliche schon. Ich gehöre zu denen, die es sich nach der politischen Wende 1989/90 mit ihrer „Generalinventur“ nicht leicht gemacht, intensiv mit dem Gewesenen und Gedachten auseinandergesetzt und dabei die „Spreu vom Weizen getrennt“ haben.
Aus dieser Nachwende-Zeit der eigenen Bestandsaufnahme hier drei Beispiele von 1990, 1994 und 1997. Es erscheint mir lesenswert – noch immer.
Märkische Volksstimme, Potsdam, 1990
Wiener Zeitung 1994, Teil 1
Wiener Zeitung 1994, Teil 2
Wiener Zeitung 1994, Teil 3
Wiener Zeitung, Teil 4
Neues Deutschland, 16./17. August 1997