„Die Natur übt ein heimliches Gericht“

Heute schaute ich mir erneut das Treiben auf dem Weißen See an. Was gibt es Neues um die „Vertreibung“ der Jungschwäne durch ihre Eltern? Das Bild unterscheidet sich erheblich vom gestrigen. Von „familiärer Harmonie“ war deutlich weniger zu spüren als am Vortag. Es hat etwas Faszinierendes, wie die Altschwäne nun unerbittlich ihr Seeterritorium gegenüber ihren eigenen Kindern behaupten müssen. „Die Natur übt ein heimliches Gericht; leise und langmütig, aber unentrinnbar.“ Das schrieb vor rund 175 Jahren ein gewisser Ernst Freiherr von Feuchtersleben (1806-1849), ein österreichischer Philosoph, Arzt und  Lyriker. Und der große deutsche (Königsberger) Philosoph Immanuel Kant (1724-1804) hatte dasselbe zuvor so ausgedrückt: „Alles, was die Natur selbst anordnet, ist zu irgend einer Absicht gut.“ Wie wahr, wenn man die folgenden Fotos sieht. Meist übt nur einer der Altschwäne das „heimliche Gericht“ der Vertreibung aus, mitunter aber auch beide in einer Art „konzertierter Aktion“… Aber noch gelang es dem jeweils verfolgten Jungschwan, nach wenigen Minuten zu seinen Geschwistern zurückzukehren. Mitunter wiederholte sich das Schauspiel einige Male. Währenddessen vertrieben sich die anderen Jungschwäne – scheinbar teilnahmslos, als ahnten sie nicht, dass ihnen demnächst dasselbe bevorsteht   – die Zeit auf ihre Weise: mit „Winterbaden“, Futtersuche oder Putzen an Land…

Das folgende letzte Foto drückt aus: Auch die jungen Schwäne vom Jahrgang 2011 am Weißen See werden sich in ihr Schicksal fügen müssen, das ihnen in den kommenden Tagen bevorsteht – denn wie heißt es doch in den Zitaten oben? Alles in der Natur geht seinen leisen, aber unentrinnbaren Gang, alles, was die Natur selbst anordnet, ist zu irgend einer Absicht gut…

Über Herbert Schwenk

Jahrgang 1937; ehemaliger Lehrer und Gesellschaftswissenschaftler der DDR; heute Rentner
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4 Antworten zu „Die Natur übt ein heimliches Gericht“

  1. Pingback: Familie Thomas Pape » sieben minus zwei

  2. venaliso sagt:

    Guten Abend Herr Schwenk,
    die Zitaten sind natürlich schön. Ja, die Natur übt ein heimliches Gericht. Aber vielleicht irgendwo anders – dort, wo die Natur noch unberührt geblieben ist, wo der Mensch sie nicht so sehr verändert hat, wie in der Großstadt Berlin, genauer gesagt, am Weißen See. Dort, wo die Natur das Wort „Natur“ noch verdient.
    Was ist am Weißen See NATÜRLICH geblieben? – Ein paar ganz alte Bäume, die noch nicht „kastriert“ sind, wie die anderen. Sie stehen leise und warten auf das HEIMLICHE Gericht des Menschen. Und der Tag wird kommen, ohne Zweifel, es bleibt überhaubt nichts Natürliches in der Umgebung. Und wir werden wieder nicht gefragt, ob wir es wollen, dass gesunde Bäume sterben oder halbiert werden, wie eine junge Birke am Gehweg am nordöstlichen Ufer.
    Was die Vertreibung der Jungschwäne betrifft, finde ich den ganzen Prozess gar nicht natürlich. Und das ist leider nicht zum ersten Mal. Statt den Kindern den Weg in die große Welt zu zeigen und dort sie abzusetzen, zeigt der Vater-Schwan nur seine Gewalt. Die Jungschwäne werden aus dem Wasser rausgejagt, und am Lande haben sie gar keine Möglichkeit zum Starten. Die Altschwäne waren durch so viel Angebot am Futter zu träge, den Jungschwänen ihren Weg zu zeigen. Die ganze Familie, meiner Meinung nach, war in den letzten Monaten wie im Rausch. Im Rausch der Freßsucht. Und da in die Natur seitens des Menschen ganz schön eingegriffen wurde, dürfen wir nicht von einem natürlichen Verhalten, also von einem natürlichen Prozess der Ablösung sprechen. Die Tiere sind daran nicht schuldig, weder der Vater-Schwan, noch die Jungschwäne. An der ganzen Situation ist NUR DER MENSCH SCHULDIG.
    Wir hatten am Malchower See bis 2007 eine wunderbare Schwanenfamilie, die fast immer ihren Jungen den Weg in die große Welt zeigte. Sie flogen zusammen einmal für 1-2 Tage weg, dann kamen sie alle wieder zurück, dann flogen sie das zweite Mal weg und kamen alle wieder zum Malchower See zurück. Beim dritten Mal kamen zurück nur Elterntiere. Für Tierfreunde war es natürlich traurig, die Jungen nie wieder zu sehen. Aber ich fand es tierisch gut, wie die Schwaneneltern mit ihren Kindern umgingen. So ein Verhalten pflegen auch Graugänse. Ihre Kinder kennen das ganze Leben lang den Weg „nach Hause“.
    Aber einmal hatten wir leider auch eine ähnliche Situation wie jetzt am Weißen See. Die Schwaneneltern waren schon alt. Manch einer Seebesucher behaupteten, dass sich die Schwäne am See mind. 12 Jahre aufhielten. Wie alz die Altschwäne waren, war es keinem Menschen bekannt.
    2006 wurde die Schwanenfamilie von den Seebesuchern besonders viel zugefüttert. Als Ergebniss konnten zwei Jungschwäne wegen dem Übergewicht nicht wegfliegen. Sie wurden von den trägen Eltern aus dem See einfach raus gejagt und saßen einfach auf der Wiese. Einer der beiden Jungen versuchte immer wieder ins Wasser zu gehen, um von der Wasseröberfläche zu starten. Es ist ihm doch gelungen, nach vielen Flugübungen, wegzufliegen. Etwas später erfuhren wir, dass er auf einem Feld in der Nähe von Malchow verletzt gefunden und von der Tierambulanz behandelt worden war. Der zweite Jungschwan gab auf. Er wurde ein Tag später zur Lieper Bucht an der Havel gebracht, wo er seine neue Heimat fand.
    Die fünf Jungschwäne von 2007 flogen selbständig ab.
    Die Information zum Nachdenken. Ich wünsche mir und hoffe sehr, dass sie Ihre Meinung bezüglich der Zufütterung der Schwäne rund um das ganze Jahr ändern. Und hoffentlich auch andere Tierfreunde. Dann haben wir weniger Nervenkitzel, wenn im nächsten Jahr der Prozess der Ablösung kommt.
    VG, Ljubow Venaliso

    • Herbert Schwenk sagt:

      Hallo, Frau Ljubow Venaliso, ich bedanke mich für Ihren Kommentar. Ich finde es gut, wenn wir Gedanken austauschen über Themen, die uns gemeinsam interessieren. Ich habe das von Anfang an als eine gute Möglichkeit der Blogs angesehen. Darum will ich auch heute zu später Stunde sofort antworten.

      Ich glaube, Sie haben in dem Kommentar zwei verschiedene Problemkreise angesprochen, die ich auch getrennt beantworten möchte.

      Das eine Problem, das Sie an meine beiden zuletzt angeführten Zitate knüpfen („Heimliches Gericht der Natur“ usw.), ist mehr grundsätzlicher Natur, es betrifft das Verhältnis von Mensch und Natur generell. Dazu haben manche schon ganze Bücher geschrieben, Dissertationen verfasst usw. Keine Angst, das will ich nicht wiederholen. Mir scheint aber, dass Sie in diesem Wechselverhältnis die Dominanz, die unerbittliche ewige Macht der Natur/des Natürlichen unterschätzen. Es ist eine Binsenwahrheit, dass die Natur ohne den Menschen leben kann, der Mensch aber nicht ohne die Natur. Das gilt auch dort, wo der Mensch bereits gravierend eingegriffen hat bzw. noch immer tut. So auch am Weißen See. Meinen Sie wirklich, dass durch das unsinnige Fällen von Bäumen, Regulieren von Wasserständen (Orankesee), Füttern und Separieren von Tieren usw. die Allmacht der „Mutter Natur“ völlig ausgeschaltet wurde, wenn Sie fragen: „Was ist am Weißen See noch natürlich?“ Wir freuen uns doch trotz alledem täglich aufs Neue, in allen Jahreszeiten, über die „Wunder der Natur“: die Geburt der Tierkinder, ihr Werden und Gedeihen, die Knospen, die Blüten, die bunten Blätter, den Raureif, die Regentropfen… Sie und ich haben doch davon im Jahr 2011 ein paar Tausend Fotos gemacht! Das heißt aber nun auf keinen Fall, dass der M e n s c h (Sie sagen: „Das heimliche Gericht des Menschen“) die Natur nicht in schwere Bedrängnis gebracht hätte! Das gilt für die ganze Welt genauso wie für den Weißen See. Das macht auch mich wütend, und ich erhebe dagegen mein Wort oder trete irgendwie dagegen auf. Aber das „Heimliche Gericht der Natur“, das heißt die Allmacht der Natur gegenüber dem Menschen, das ewige Wirken der Naturgesetze, die Kraft der sog. Renaturierung usw., darf man doch nicht u n t e r s c h ä t z e n. Auch am Weißen See wirkt das – trotz der Bedrängnis. Auch am Weißen See blühen die Bäume wieder, wenn die Zeit ran ist und fallen die Blätter, wenn die Natur dazu drängt. Und auch am Weißen See werden die Schwäne wieder ihr Nest bauen, wieder Eier legen, wieder brüten, die Kleinen aufziehen – und auch wieder „vertreiben“, wenn ihre „innere Uhr“, das „heimliche Gericht der Natur“, es vorschreibt. Der Mensch sollte sich dabei zurückhalten und nur behutsam eingreifen und regulieren, wenn „Gefahr im Verzug“ ist. Ob das gestern beim Abgang der ersten beiden Jungschwäne so war, weiß ich nicht. Ich hörte aber heute Stimmen am See, die erklärten, man müßte „mit dem Knüppel dazwischen gehen“, um die Altschwäne an der Vertreibung hindern …

      Nun noch kurz zu dem zweiten, weniger grundsätzlichen Problem: der Zufütterung der Schwäne. Sie sagen: „Ich wünsche mir und hoffe sehr, dass Sie Ihre Meinung bezüglich der Zufütterung der Schwäne rund um das ganze Jahr ändern.“ Das überrascht mich nun doch etwas. Ich habe mich bisher zu diesem heiklen Thema gar nicht geäußert. Ich sehe aber, dass es dazu konträre Positionen gibt, und mir fehlt das Fachwissen, darüber eine Meinung zu äußern. Es gibt offenkundig Experten, dazu etwas Fundiertes zu sagen und Fachbücher, darüber Auskunft zu geben. D a s s Tiere ohne Schaden vom Menschen gefüttert werden, scheint mir allerdings ebenso Realität zu sein wie begründbar. Im welchem Umfang, in welcher Form, zu welcher Zeit – das vermag ich nicht zu beurteilen.
      Mit Grüßen
      Herbert Schwenk

  3. Thomas sagt:

    Tja, da zitiere ich mal einen lebenden Schwanenforscher – der sich ja zu dem Thema auf Ihrer Seite Venaliso dazu äußert:

    Eine übermäßige Fettreserve und damit „angemästete“ Fettdepots besitzen die Jungschwäne nicht, denn sie besitzen noch nicht einmal am mittleren Teil des Bauches das sogenannte „Fettwammerl“, eine Fettschürze, die in nahrungsarmer und kalter Zeit als Energie- und Wärmequelle dient. Sie haben einen guten aber mittleren Ernährungszustand.
    Mit der Flugfähigkeit hat das Fettdepot nichts zu tun. Je größer es ist, um so besser sind die Überlebenschancen in futterarmen Kältewintern.
    Der „Abnabelungsprozeß“ von den Elterntieren und dem Aufzuchtrevier braucht seine Zeit; und diese sollte man den Jungschwänen auch lassen! Es bedarf dazu keinesfalls der Mithilfe des Menschen. Das regeln die Eltern- und Jungtiere unter sich auf ihre Weise, nicht auf menschliche Weise durch Umsetzen der Jungtiere in andere Gewässer! Die „Abnabelung“ ist für die Jungtiere ein Lernprozeß, und den sollte man durch solche Eingriffe wie Umsetzung in andere Gewässer tunlichst unterlassen! Der Schwan bedarf dazu der „Hilfe“ des Menschen nicht.
    Jungschwäne, schon gar nicht die Juvenilen mit 6 – 8 Monaten, besitzen kein Revier. Sie finden sich nach erfolgter „Abnabelung“ von den Eltern in den Schwanenstuben zusammen, wo sie mit anderen Schwänen unterschiedlichen Alters bekannt- und konfrontiert werden und das soziale Verhalten erlernen, die Rangordnung. Auch die Paarfindungen finden in solchen Schwanenstuben statt. Dazu bedarf es ebenfalls nicht des menschlichen Zutuns.
    Das Selbständigwerden müßen die Tiere erlernen, und zwar auf ihre Weise, nicht auf der vom Menschen und nach menschlichen Maßstäben und Kriterien bemessenen.
    Es ist absolut obsolet den Elterntieren beim „Abnabeln“ nach menschlichen moralischen Vorstellungen und Ethikwerten in das „Handwerk“ zu pfuschen, denn sie wissen am allerbesten, wie jeder ihrer einzelnen Abkömmlinge dabei zu behandeln ist.
    Das sollte man als Tierfreund beachten und beherzigen.
    Jungschwäne sind keine kleinen Menschenkinder, sondern Wildtiere!

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